Das
Kompetenznetz Rheuma stellt sich vor
Der Beitrag der Grundlagenforschung zu einer verbesserten
Diagnostik und Therapie rheumatischer Erkrankungen
Der
rasante Fortschritt der biologischen Wissenschaften ist
beeindruckend. Schlagzeilen über klonierte und genmanipulierte
Säugetiere sind fast alltäglich, das humane Genom ist entschlüsselt.
Ein umfassendes molekulares Verständnis des Lebens zeichnet
sich ab, die Umsetzung in die medizinische Praxis scheint
nur eine Frage der Zeit. Bei den rheumatischen Erkrankungen
sind konventionelle Diagnostik und Therapie häufig empirisch
begründet und Wirkmechanismen meistens unverstanden. Gerade
hier hat die Einführung der "biologischen" Tumor Nekrose
Faktor-alpha-Blocker erstmals gezeigt, wie effektiv eine
aus der Grundlagenforschung kausal abgeleitete Therapiestrategie
sein kann.
Auf breiter Front wird diese Entwicklung zur Zeit international
vorangetrieben. In Deutschland fördert das Bundesforschungsministerium
mit dem Kompetenznetz "Entzündlich-rheumatische Systemerkrankungen"
einen Forschungsverbund, der sich in seinem Grundlagenbereich
der Entwicklung von zellulärer und molekularer Diagnostik
und Therapie verschrieben hat. Zellen und Moleküle, die
an der Ätiopathogenese rheumatischer Erkrankungen beteiligt
sind, sollen identifiziert, ihre Wertigkeit für Prognose
und Diagnose geprüft und ihre Eignung als Ziel therapeutischer
Verfahren festgestellt werden. Anders als vor wenigen Jahren
stehen heute Technologien zur Verfügung, um Genom und Genexpression
von Zellen gezielt zu analysieren und aus Zellgemischen
bestimmte Zellen gezielt zu isolieren. Zelldifferenzierung
und -aktivierung, aber auch die Interaktion verschiedener
Zellen kann im Reagenzglas nachgestellt werden.
Bei den entzündlich-rheumatischen Erkrankungen geht es dabei
vor allem um Zellen des Immunsystems und ihre molekulare
Interaktion untereinander und mit den Zellen des entzündeten
Gewebes. Die Entwicklung der Lymphozyten von ungefährlichen,
toleranten "Mauerblümchen" zu aggressiven Agitatoren der
Entzündung, die Chronifizierung der Entzündungsreaktion
und die Organspezifität der Entzündung sind Herausforderungen
für die Grundlagenforschung, die nur auf molekularer Ebene
gelöst werden können. Ergebnis sollte eine Frühdiagnostik
sein, die risikoadaptierte Therapien erlaubt und Organschäden
minimiert. Für die Therapie gilt auch heute noch Virchow´s
Erkenntnis von der "Cellularpathologie", der Zelle als pathologischer
Grundeinheit. Die Zellen, die die rheumatische Entzündung
treiben und unterhalten, müssen identifiziert und möglichst
selektiv eliminiert oder umprogrammiert werden, um eine
dauerhafte Remission zu erreichen.
Hintergrund:
Ein
Beispiel für eine Behandlungsmethode, die aus der Kooperation
von Grundlagenforschung und Klinik erwuchs, ist die Stammzelltherapie
bei Rheuma
Entzündlich-rheumatische Erkrankungen wie z. B. der systemische
Lupus erythematodes oder die Sklerodermie sind Autoimmunerkrankungen,
bei denen das Immunsystem aus noch ungeklärten Gründen körpereigene
Strukturen angreift. Dadurch kommt es zu Entzündungen und
Schäden an bindegewebigen Strukturen, Blutgefäßen und inneren
Organen. In schwersten, therapieresistenten Fällen setzt
man neuerdings eine der Krebstherapie entlehnte Behandlungsmethode
ein: die Hochdosis-Chemotherapie mit anschließender Transplantation
autologer (eigener) Stammzellen. Dahinter steckt die Idee,
das fehlgeleitete Immunsystem zu zerstören und anschließend
mit Hilfe der eigenen Stammzellen des Patienten wieder ein
"neues" aufzubauen, das möglicherweise die Krankheit "vergessen"
hat.
Die
Stammzelltransplantation umfasst mehrere Schritte:
- Zuerst
werden die seltenen Stammzellen mit Hilfe von Wachstumsfaktoren
aus dem Knochenmark des Patienten mobilisiert und aus
dem peripheren Blut herausgelesen. Diese "Stammzellernte"
erfolgt mit Hilfe eines ursprünglich in der Arbeitsgruppe
von Prof. Dr. Andreas Radbruch entwickelten Zellsortiergeräts
(CliniMACs®: Magnetische Hochgradienten Zellsortierung),
das die Selektion einzelner Zellpopulationen in einer
weltweit bisher nie erreichten Reinheit ermöglicht.
- Anschließend
wird das gesamte reife Immunsystem des Patienten mit
Hochdosis-Chemotherapie (Cyclophosphamid, Antilymphozytenserum)
abgetötet.
- Im
letzten Schritt werden die tiefgeforenen Stammzellen
aufbereitet und dem Patienten zurückgegeben.
An
der Berliner Charité sind bereits acht Patienten mit lebensbedrohlichen
Autoimmunerkrankungen auf diese Weise behandelt worden.
Vier litten an einem systemischen Lupus erythematodes (SLE),
drei an einer Sklerodermie (syn: Systemsklerose) und eine
an einer Polychondritis, einer seltenen entzündlichen Knorpelerkrankung,
die alle knorpeligen Bestandteile des Körpers einschließlich
der Luftröhre angreift und so die Atmung unmöglich macht.
Zwei Jahre nach der Stammzelltransplantation sind drei SLE-Patientinnen
und die Patientin mit der Polychondritis noch immer frei
von Krankheitszeichen. Die typischen Autoantikörper im Blut
sind verschwunden und die Entzündungsparameter haben sich
normalisiert. Der dritte SLE-Patient, ein Mann, hatte zunächst
auch eine Remission gezeigt, jedoch 17 Monate später einen
Rückfall erlitten. Allerdings sprach er nach der Behandlung
wieder auf Medikamente an, die vor dem Eingriff nicht mehr
gewirkt hatten.
Bei den Sklerodermien war die Transplantation nicht so erfolgreich.
Eine Patientin verstarb noch vor dem Eingriff an einer Komplikation
ihrer Grundkrankheit, die beiden anderen besserten sich
nur vorübergehend, dann stellten sich sowohl die Antikörper
als auch die Krankheit wieder ein.
Bei den erfolgreich behandelten Patienten scheint das neue
Immunsystem - zumindest vorläufig - die Krankheit nicht
weiterzuführen. Offenbar wurden die Gedächtnis-Zellen unter
den weißen Blutzellen (Lymphozyten) erfolgreich eliminiert.
Von einer Heilung wagen die Experten aber noch nicht zu
sprechen, dies wäre erst bei einem krankheitsfreien Verlauf
von mindestens fünf Jahren gerechtfertigt.
Weltweit sind bislang etwa 300 Stammzelltransplantationen
bei Autoimmunerkrankungen durchgeführt worden (bei Diagnosen
wie Multiple Sklerose, Lupus erythematodes, Sklerodermie,
rheumatoide Arthritis, juvenile idiopathische Arthritis,
Vaskulitis oder Kryoglobulinämie), bei Erwachsenen und auch
bei Kindern. Zwei Drittel der Transplantierten gelangten
zumindest vorübergehend in eine Phase ohne nachweisbare
Krankheitsaktivität, einige erlitten jedoch im weiteren
Verlauf einen Rückfall. Wie der Berliner SLE-Patient waren
sie dann aber wieder besser behandelbar als vor der Transplantation.
Von 12 in den Niederlanden transplantierten Kindern mit
schwerster juveniler Arthritis sind zwei gestorben, sieben
sind (bisher) krankheitsfrei.
Wegen der nicht unerheblichen Risiken bleibt die Stammzelltransplantation
vorläufig nur lebensbedrohlichen Krankheitsbildern vorbehalten.
Von den Berliner Patienten ist zum Glück keiner daran gestorben,
doch weltweit beträgt die transplantationsassoziierte Sterblichkeit
8-10 %. Hauptprobleme sind Blutungen und Infektionen in
der Phase unmittelbar nach Rückgabe der Stammzellen. Denn
bis das "neue" Immunsystem aufgebaut ist, dauert es Monate.
In dieser Zeit sind die Patienten ohne eigene Immunabwehr
und bedürfen intensivmedizinischer Überwachung. Auch danach
fehlen ihnen noch die Gedächtniszellen, so dass die Abwehr
gegen Alltagskeime erst Schritt für Schritt wieder erworben
werden muss.
Um die Infektanfälligkeit in der Phase der kompletten Abwehrschwäche
zu vermindern, arbeitet Prof. Dr. Radbruch an einem neuen
Ansatz, bei dem bestimmte Gedächtnis-Lymphozyten, die man
für unschuldig am Krankheitsprozess hält, gleich wieder
mit zurückgegeben werden. Dies würde das Risiko der Stammzelltransplantation
deutlich verringern. Noch weiß man aber nicht genau, welche
Immunzellen an der Krankheit beteiligt sind und welche nicht.
Prof.
Dr. rer. nat. Andreas Radbruch
Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums
Berlin
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